Über Eliten und die Desorganisation der Gesellschaft

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Die vornehmste Aufgabe der Libertären besteht nach Ansicht des Vulgärkapitalisten und Trump-Freundes Peter Thiel darin, einen „Ausstieg aus der Politik in allen Formen zu finden“.

„Was nach hehrem Ideal klingt, ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als ein Freibrief für Steuerflucht und Verantwortungslosigkeit. Auch der konstruierte Antagonismus zwischen Politik und Technologie, der suggeriert, im Internet herrsche die große Freiheit, trägt zur Verkennung der Lage bei“, so. Die FAZ. Er redet der Demontage der Demokratie das Wort, die Trump auf seine Weise vier Jahre bearbeitete: Für Gewaltenteilung hat Thiel nichts übrig, die Presse betrachtet er als Feind, er spricht per Twitter zu seiner Gefolgschaft.

Die Politik darf das so nicht hinnehmen. „Sie muss die Banker und Manager mit der politischen Macht konfrontieren, muss sie als scheinbar Allmächtige entzaubern. Sie muss sie entlarven als jämmerliche Söldner“, fordert der Schweizer Publizist Frank A. Meyer. Das wird nicht ausreichen. Der Netzwerkforscher Manuel Castells hat das gut analysiert: Die alten und neuen Eliten (etwa Vulgärkapitalisten wie Thiel – er zählt gar zu den Protagonisten, die sich mit den alten Eliten koppeln) verbinden sich zur Absicherung ihrer Herrschaft bei gleichzeitiger Desorganisation der Gesellschaft.

Je stärker das Internet die Vernetzung vorantreibt und jeder nicht nur Empfänger von Botschaften ist, sondern auch Sender, desto stärker versuchen sich die alten Eliten abzusetzen, damit es nicht zu einem übermäßigen Vordringen von „gewöhnlichen“ Leuten in die innere Welt der Cliquen und des Klüngels kommt. Der Zugang zu den Netzwerken der Herrschenden bleibt versperrt. Nachzulesen im Standardwerk von Castells „Das Informationszeitalter I – Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“.

Quartiersräte als Bindeglied

Die Zersplitterung der Gesellschaft und der Separatismus elitärer Gruppen ist auch nach Analysen des Wirtschaftswissenschaftlers Reinhard Pfriem ein großes Problem.

„Es gibt ein grundlegendes Defizit an der Möglichkeit politischer Artikulation“, mahnt der Ökonom und plädiert für die Entwicklung von institutionellen Formen, die tatsächlich wieder radikale Demokratie ermöglicht: „Es gibt in Berlin in einigen sozialen Brennpunkten der Stadt so genannte Quartiersräte, wo die heterogenen und zukunftsorientiert tätigen Akteure zusammengebracht und mit der darüber liegenden Ebene verkoppelt werden.“

Also ein Bindeglied zu den kommunalen und landespolitischen Instanzen. In der Hauptstadt sind es die Bezirksverordneten-Versammlungen und das Abgeordnetenhaus. Die gegenwärtige Form von repräsentativer Parlamentsdemokratie schwebe schon institutionell über dem, was Menschen wirklich bewegt. Pfriem bringt den Begriff der Agora ins Spiel, also den Ort der öffentlichen Verständigung und Kommunikation in der griechischen Antike. Das gilt nach seiner Auffassung auch für die Wissenschaft, die sich transparent zu zeigen und zu rechtfertigen hat sowie ihre von der Gesellschaft alimentierte Funktion unter Beweis stellen muss. 

5 Kommentare

  1. „Vulgärkapitalist“ – das passt zu gut zu den Lackaffen, die sich in Politik und Medien breit machen als „Liberale“ oder „Wissenschaftler“. Die Vulgärkapitalsten haben freie Bahn, weil wir alle zum Glauben verführt wurden, Wirtschaft sei eine Wissenschaft. „Physik Neid“ (so wie „Penis-Neid“ zu verstehen) nennt das Cambridge-Professor Jonathan Aldred in „Licence to be Bad: How Economics Corrupted us“. Der einzige Sinn von Professoren wie etwa der ehemalige „Weise“ H-W Sinn ist Systemfestigung. Ihre „Wissenschaft“ ist Geschwurbel, das noch keine einzige Krise verhindert hat.

    • Nun gibt es allerdings mittlerweile eine Vielzahl von kritischen Ökonomen, die andere Wege beschreiten. Zudem geht es immer um die Nachweisführung via empirischer Evidenz und da tut sich zur Zeit einiges. Ich bleibe da optimistisch.

      • Optimistisch sein ist immer gut. Und es ist sicher richtig, dass es in der Akademie Neues gibt. Das findet sich aber abseits vom Mainstream. Von der MMT hört man etwa nichts in der Tagesschau, wo die alten Weisen doch so oft auftreten. Das spannendste habe ich von Christian Felber über Gemeinwohlökonomie gehört. Der schaff es nicht mal in die Zeit. Und wenn man Varoufakis liest über seine kurze Zeit als Finanzminister (spannend wie ein Krimi, was es auch war, mit Schäuble und Dijsselbloem in der Rolle der Bösewichte), da sieht man krass, wie wenig in der Politik ankommt, was von vielen kreativen Köpfen gedacht und aufgeschrieben wird. Noch immer sind meine Lieblingszitate von Ha-Joon Chang: „Never trust an economist“ und „Economics is too important to be left to the experts“. Auch Chang bestreitet, wie Aldred, das die Volkswirtschaft eine Wissenschaft sei (auch er ist Professor in Cambridge).

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