Derzeit kursieren zwei Schlagworte: Digitaler Wandel und Digitale Transformation. Worin besteht der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen? Beide Begriffe werden oft synonym verwendet, haben aber unterschiedliche Bedeutungshintergründe. Weder Wirtschaft noch Gesellschaft sind statisch. Wandel ist Normalzustand. Digitalen Wandel erleben wir seit mehreren Jahrzehnten in verschiedenen Stufen.
Transformation ist der komplexere Begriff. Er geht zurück auf den der ungarisch-österreichischen, später in die USA emigrierten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Karl Polanyi (1886 – 1964). In seinem Hauptwerk „The Great Transformation“ bezeichnete er damit die Umstrukturierung der spätfeudalen, agrarischen Gesellschaft zu einer Industriegesellschaft mit reinen Marktgesetzen im England des späten 18. und des 19. Jahrhundert.
Wenn man es genau nimmt, steht Transformation für zwei Bedeutungen. Zum einen die Umstrukturierung in Wirtschaft und Gesellschaft, die durch die Digitalisierung ausgelöst wird. Das geschieht ohnehin. Es entstehen neue Branchen, neue Geschäftsmodelle, auch neue Fertigungsmethoden (z.B. 3 D-Druck). Einige Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige werden verschwinden, weil sich das Umfeld verändert.
Zum anderen wird so auf der Ebene der einzelnen Unternehmen der zielgerichtete Einsatz von Maßnahmen bezeichnet, die die eigenen Wertschöpfungsprozesse unter Einsatz von digitalen Technologien neu- bzw. umgestalten sollen. In diesem Sinne ist Digitale Transformation im wesentlichen ein Fall von Change Management. Ob das in jedem Fall gelingt, ist ungewiss. Sicherlich ist dies ein umfangreiches und manchmal umkämpftes Feld von Beratungsdienstleitungen.
Kritik an dem Begriff der Digitalen Transformation weckt die Illusion, dass damit ein Prozess eingeläutet wird, der dann auch irgendwann abgeschlossen ist.
Jedes Unternehmen, jede Organisation hat das Bestreben, seinen Markt und seinen Einfluss beizubehalten. Aber wir haben in der Digitalisierung jetzt eine Stufe erreicht, auf der sich Organisationsformen verändern. Die Art, wie wir miteinander kommunizieren und wie wir zusammenarbeiten, hat sich verändert. Konsequenz der Digitalisierung von allem ist die Vernetzung von allem. Prozesse und Transaktionen sind auf ganz andere Weise steuerbar.
Nehmen Sie beispielsweise die Plattformen. Der Anbieter stellt nur die Plattform zur Verfügung, hat aber weiter mit den Produkten und Dienstleistungen nichts zu tun. Ebay ist ein frühes Beispiel dafür, auch Amazon betreibt Plattformen. Ebay verkauft selber nichts. Das Unternehmen stellt nur die Plattform zur Verfügung, auf der sich Käufer und Verkäufer treffen. Dieses Prinzip sehen wir immer wieder. Eine strukturierte Firma als eine Einheit von Planung, Produktion und Management ist für den Handel mit Gütern und Dienstleistungen in vielen Fällen nicht mehr erforderlich. Viele Unternehmen werden digitalisiert und dematerialisieren ihre Leistungen. Diese Strukturveränderungen finden wir überall wieder. Letztlich geht es darum, wie bestimmte Nachfragen, auch z.B. in Bildung, nach Mobilität, erfüllt werden.
Von Digitalisierung können wir schon seit den 1980er Jahren sprechen. Das begann mit der Textverarbeitung, mit der Einführung der CD, in der Popkultur mit Computerspielen, elektronischer Musik. Um eine Nachricht zu versenden brauchte man irgendwann keine Briefmarke mehr zu kaufen. Die E-Mail war billiger und einfacher. Niemand mußte z.B. mehr mit Tippex hantieren, Schriftstücke und andere Dokumente können wir ganz einfach korrigieren, ablegen und immer wieder verwenden. So begann die Digitalisierung der Medien: Text, Bild, Ton, Bewegtbild und jetzt auch Life- Streaming.
Das Internet verbreitete sich seit Mitte der 1990er Jahre. Interessant ist die Beobachtung der Leitbegriffe, mit denen wir darüber sprachen: In den 1990er Jahren war es der abenteuerliche Cyberspace, um die Jahrtausendwende die spekulative New Economy, später das partizipative Web 2.0. Social Media verbreitete die Dienste und Plattformen, die die öffentliche Kommunikation veränderten und machte sie jedem zugänglich. Gleichzeitig verbreitete sich mit der mobilen Revolution das Internet im Alltag, weltweit. Es wanderte quasi vom Schreibtisch in die Hände und wurde damit allgegenwärtig und spontaner. Seit einigen Jahren sprechen wir vom Digitalen Wandel und von der Digitalen Transformation. Dahinter steckt allerdings mehr als ein Wandel von Begriffen und Themen. Menschen gewöhnen sich an Veränderungen und nutzen sie. Man nennt es „Habitualisierung“.
Wandel bietet immer wieder Anlass zur Sorge: Wer ist der Gewinner, wer ist der Verlierer. Es gab immer wieder öffentliche Diskussionen über den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung. Man denke zurück an die frühe Digitalisierung in der Druckvorstufe: der angesehene Beruf des Schriftsetzers war nach einigen Jahren verschwunden. Immer wieder wurden ganze Branchen und Wirtschaftsbereiche umgekrempelt, die Musikindustrie ist ein weiteres bekanntes Beispiel. Arbeitsplätze und damit soziale Sicherheit, wie wir sie gekannt haben, werden verschwinden –bei steigender Produktivität. Hier liegt eine Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft.
Heute sind digitale Techniken omnipräsent und können sich miteinander verbinden. Das ist erst durch das Internet und durch die entsprechenden Bandbreiten möglich geworden. Die Digitale Transformation, von der wir heute sprechen, umfasst erstmals alle Wirtschaftsbereiche. Wir haben eine Schwelle erreicht, ab der digitale Strukturen die Organisationsformen von gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Leben berühren. Das müssen wir begreifen und wir können es gestalten.
Hat dies auf Ich sag mal rebloggt.