
Der Mensch-Kunde-Mitarbeiter-Aktionär-Wähler-oder-sonst-was steht im Mittelpunkt? Das ist so eine schöne Kalenderweisheit. Jeden Tag vollbringen Service-Unternehmen eine gute Tat. Es sind die Helden unseres Alltagslebens: Champions, Dienstleistungsakrobaten, weltweit führende Glücksbringer und Kundenversteher. Abgesichert und bewiesen durch Umfragen, Ranglisten, Awards, Studien und sonstige Selbstbeweihräucherungen. Je länger man an diese selbstreferentiellen Jubelarien glaubt, desto mehr hält man diese Zahlenspiele für die Realität:
„Bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt, er ist der König, der Umworbene, der wahre Boss und wir sind seine Untertanen.“
Es wäre ja auch eine gewaltige Überraschung, wenn Firmen das Gegenteil anstreben würden. Dumm nur, dass es der Verbraucher manchmal gar nicht merkt, welche Exzellenz sich in der deutschen Wirtschaft tummelt. Der Konsumenten-Alltag sieht anders aus: Der Webservice ist miserabel, das Shop-System funktioniert nicht, die Abrechnung läuft falsch, E-Mails werden nicht beantwortet, Facebook oder Twitter werden nicht ernst genommen und, und, und.
Warum muss man das gute alte Telefon als Kunde bedienen: Weil eine Hilfe beim Bestellprozess notwendig ist, die Lieferung sich verspätet, ohne Rückfrage ein veraltetes Betriebssystem ausgeliefert wird, Upgrade-Informationen falsch laufen, die Registrierung und Bestellung auf der Website viel zu umständlich ist, eine Upgrade-Registrierung fehlgeschlagen ist, ein zugesagter Rückruf vom Kundenservice nicht erfolgt, die Notifikation der Upgrade-Verfügbarkeit fehlgeschlagen ist, das Upgrade selbst nicht funktioniert und Anfragen auf Twitter oder Facebook schlichtweg ignoriert werden:
„Viele Kundenkontakte sind in Wahrheit ‘Defekte’“, so die richtige Analyse Stephan Pucker, Geschäftsführer von Ad Scopum.
Wenn es gut läuft, wie in der Regel bei Amazon, besteht kein Grund für einen so genannten Service-Kontakt. Rhetorische Plattitüden über den Kunden, der im Mittelpunkt steht, sind nichts anderes als Sonntagsreden, “sonst müssten sie nicht so beständig wiederholt werden”, wie es acquisa-Chefredakteur Christoph Pause treffend formuliert:
“Das Internet, vor allem das Social Web mit seinen Foren, Communities, Vergleichsportalen etc., hat die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und Unternehmen radikal verändert. Nicht mehr die Unternehmen bestimmen, was über sie gesprochen wird, was gekauft wird und wo es gekauft wird, sondern die Kunden entscheiden, welches Angebot sie zu welchem Preis und über welchen Kanal annehmen (wobei das Social Web kein Kanal ist…., gs).
Und viele, die ein Produkt oder eine Dienstleistung gekauft haben, teilen der Welt im Anschluss mit, wie es war. Auf Facebook, im eigenen Blog, in der User-Community, über Twitter, auf der Website des Anbieters”, so Pause.
Die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde sei nicht mehr 1 zu 1, sondern 1 zu n – und zwar nicht mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie etwa beim Gespräch mit einem Call Center-Agenten. Trotzdem landet man als Kunde häufig ins Hinterzimmer einer B-Mannschaft im Kundenservice, wie die Management-Beraterin Anne M. Schüller feststellt. Man werde an die “Leihsklaven” externer Call Center weitergereicht, wo die Bezahlung mies, die Wertschätzung niedrig, der Frust aber groß und die Fluktuation riesig sind.
“Und genauso kommt das dann beim Kunden an. Das Problem dabei: Die Kunden merken so etwas nicht nur, sie reden auch darüber. Früher geschah das im kleinen Kreis, heute kann man es der ganzen Welt erzählen. Was uns nicht passt, wird an den Online-Pranger gestellt”, so Schüller.
Der Kundendienst müsse in Unternehmen besser vernetzt werden. Hier sei eine tiefe Integration mit anderen Einheiten wie Vertrieb oder Marketing äußerst wichtig. Wer Produkte oder Services kauft, erwartet mittlerweile Reaktionen in Echtzeit und ein One-Hand-Management. Umständliche Dienstleistungsbürokratie wird nicht mehr toleriert.
„Kein Mensch braucht ein Call Center, weil es ein Call Center ist. Unternehmen benötigen gute Kundenbearbeitung“, proklamiert Fraunhofer-Präsident Hans-Jörg Bullinger.
Der Kunde werde immer anspruchsvoller, unberechenbarer, stelle schwierige und unvorhergesehene Fragen. Entsprechend müsse der Wissensanteil auf Seiten der Anbieter steigen. Servicekräfte werden immer mehr zu Wissensmanager. Dabei müsse man nicht alles selber wissen. „Es kann auch ein Wissen um Quellen sein, um die Kundenanforderungen zu erfüllen“, so Bulliger. Ob der Kunde wirklich im Mittelpunkt steht und wie im Service kommuniziert werden soll, entscheidet letztlich nur einer: der Kunde. Die Servicebranche sollte einfach mal die Phrasendresch-Maschine abstellen. Das wäre dann ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.