Netzökonomie braucht vernetzte Service-Organisationen und keine starren Call Center-Silos

Atmende Service-Organisation?
Atmende Service-Organisation?

Fast jedes Call Center ist mit seinen Mitarbeitern auf Effizienz getrimmt und versucht, die Anrufe von Kunden so gut wie möglich zu beantworten. Dennoch gehen in Deutschland in jeder Minute Anfragen verloren, werden Kunden frustriert, Mitarbeiter demotiviert und Umsätze verpasst. Zur gleichen Zeit langweilen sich Agenten, weil nichts passiert und gähnende Langeweile herrscht. Die Betriebskosten stehen in keiner Relation mehr zum Gewinn und den Service-Mitarbeitern geht die Motivation abhanden.

In der Arbeitsorganisation orientiert man sich in der Call Canter-Branche immer noch an den alten und überkommenen Vorbildern des industriellen Kapitalismus – man kann es auch Fordismus nennen. „Produktion“ von Dienstleistungen als Massenware. Standortprinzip statt flexible Arbeit. Kontrolle von Arbeitsplätzen statt Selbstverantwortung. Hierarchisch geführte Agenten-Silos statt smarte Arbeitsbedingungen.

„Zentralistisch geprägte Call Center-Organisationen passen nicht mehr in eine Landschaft, die von Vernetzung und Mobilität geprägt ist. Es fällt zunehmend schwerer, die besten Talente an einem Ort zu gewinnen. Die Rekrutierung von Mitarbeitern muss sich mit Verlegenheitslösungen über Wasser halten. Agenten stehen in Großraum-Büros unter einem enormen Leistungsdruck und reagieren häufig mit Ellbogen-Mentalität gegenüber Kollegen. Die Teamarbeit und der Wissensaustausch bleiben auf der Strecke – auch wenn in der Öffentlichkeit das Gegenteil behauptet wird“, weiß Thomas Dehler, Geschäftsführer von Value5.

Fußballkicker als Feigenblatt

An starren Arbeitszeiten und Organisationsmethoden hat sich bislang wenig geändert. Büros mit Fußballkicker, Obstkörben und bunten Büromöbeln scheinen in Deutschland schon zu Avantgarde-Erscheinungen des modernen Arbeitslebens zu zählen. Für Markus Albers von der Berliner Agentur rethink sind diese Anreize eher ein Feigenblatt, um Mitarbeiter krampfhaft bei Laune zu halten. Vorbild des in Deutschland am weitesten verbreiteten Bürokonzeptes sind die im 16. Jahrhundert in Florenz gebauten Uffizien, von denen sich das englische Wort für Büro ableitet: „Office“. Freie Arbeitsgestaltung ist weitgehend Fehlanzeige. Es gilt immer noch das Motto „Ich sitze im Büro, also arbeite ich“. Ob man die Wand anstarrt, die Minuten bis zum Feierabend zählt oder Kollegen nervt, spielt keine Rolle.

Easy Economy

Dabei sind wir schon längst eine Wissens- und Dienstleistungsökonomie. Ein Großteil der Menschen arbeitet in Informations- und Serviceberufen. Galt bisher die Maxime „Arbeiten in einer festen Struktur, am fixen Ort und zur bestimmten Zeit“, so erlauben neue technologische Entwicklungen wie Cloud Computing das „Arbeiten mit wem, wo und wann man will“. Markus Albers sieht eine Metamorphose zur „Easy Economy“, die sich nicht mehr über Bürogebäude definiert:

„Sie hilft Unternehmen, die klügsten Köpfe anzuziehen, die besten Produkte zu entwickeln und nebenbei noch Immobilienkosten zu sparen, weil Büros bis zu 50 Prozent kleiner sein können, wenn nicht mehr jeder jeden Tag 9to5 am Schreibtisch sitzt.“

Tim Cole und Ossi Urchs bezeichnen das in ihrem Buch „Digitale Aufklärung“ als Wertschöpfungsnetzwerk. Komplexe Aufgaben werden in einfache Module zerlegt und über das Netzwerk an Personen vergeben, die dafür die nötige Kompetenz besitzen und gerade Zeit haben.

„So werden einzelne Mitarbeiter, Arbeitsgruppen und sogar ganze Organisationseinheiten projekt- und aufgabenbezogen zu Teams zusammengeführt und bilden damit eine Art virtuelle Organisation auf Zeit. Unternehmen werden für bestimmte Aufgaben bestimmte Teammodule schnell zusammenstellen können, sozusagen eine Cloud-Belegschaft.“

Und sie werden nur für das bezahlen, was an Funktion und Leistung abgefragt wurde. Auch die Service-Organisationen müssen dezentral, flexibel und vernetzt arbeiten, um in Echtzeit auf den Beratungsbedarf der Kunden zu reagieren, so das Credo von Dehler. Ansonsten bleibt eben nur die von Industrieunternehmen bekannte Rosskur übrig: Standortschließungen, Stellen streichen, den Rotstift ansetzen und an der falschen Stelle sparen. Auf der Strecke bleibt die Beratungsqualität.

Siehe auch:

Vernetzter Service für einen vernetzten Kunden.

7 Kommentare

  1. Kunden stellen die Forderung, von jedem Mitarbeiter zu gleichen Anfragen die gleiche Antwort zu erhalten….Wäre es da nicht besser, auf die Netzwerk-Effekte des Social Web zu setzen, wenn das immer die gleichen Anfragen sind?

    • Hallo Gunnar,

      die Netzwerkeffekte im Social Web bedingen jedoch, dass wir selbst bei gleichen Anfragen darüber sprechen, dass der Kunde bereit ist, diese Frage im Social Web zu stellen bzw. sich selbst nach den richtigen Lösung zu erkundigen.

      Es gibt jedoch meiner Erfahrung nach viele Kunden, die, aus meiner Sicht durchaus berechtigt, mit dem Gedanken agieren, ich habe das Produkt bezahlt. Warum sollte ich dann also meine persönliche Zeit dafür investieren, meine Lösung selbst zu suchen.

      Wir können gern über dieses Thema ausführlicher sprechen. Ich schick einfach mal eine Kontaktanfrage in XING 😉

  2. Virtuelle Teams können Anfragen in gleicher Qualität beantworten – vielleicht sogar besser. Es kommt doch auf die Projektführung an. Das kann standortunabhängig erfolgen. Zur Frage der Generalisten und Spezialisten. Wer hat den Einheitsbrei denn zu verantworten? Das ist sicherlich auch eine Frage der Bezahlung. Mit den Hungerlöhnen in Call Center-Fabriken wird das nicht gelingen. Die flexible oder atmende Service-Organisation ist ein wichtiger Baustein für vernetzte Services – allerdings nicht der einzige Punkt – da hast Du sicherlich recht, René. Wir könnten das gerne in einer Interview-Runde bei Bloggercamp.tv vertiefen, wenn Du Lust hast.

  3. Naja, leider kann ich die Aussagen von Value5 sowie den anderen nicht Folgen. Den diese stellen das Customer Service Geschäft so dar, als wäre es eine Umgebung der absolut individuellen und vollständig autark arbeitenden Arbeitsfelder, wie sie zum Beispiel in der Wissenschaft oder Forschung zu finden sind.

    Kundenservice als vernetzte Einheiten, ohne Frage. Was jedoch nicht vergessen werden sollte, ist das die Kunden auch die Forderung stellen, von jedem Mitarbeiter zu gleichen Anfragen die gleiche Antwort zu erhalten.

    Dies funktioniert jedoch in der gewünschten Form „So werden einzelne Mitarbeiter, Arbeitsgruppen und sogar ganze Organisationseinheiten projekt- und aufgabenbezogen zu Teams zusammengeführt und bilden damit eine Art virtuelle Organisation auf Zeit“ nicht.

    Genau diese Organisationsform zeichnet sich innerhalb wirklicher Projekte ab. Wer jedoch schonmal an einem Projekt gearbeitet hat, besser sogar noch an 2 sich grundlegend identischen stellt fest, dass die Ergebnisse sich dabei am Ende nicht gleichen müssen.

    Also alles andere, als das Ergebnis, was der Kunde haben möchte.

    Die wesentlichen Herausforderungen im Kundenservice werden hier meiner Meinung nach absolut unter den Tisch gekehrt.

    Den die vernetzte Service-Welt bedeutet natürlich, den richtigen Mitarbeiter zu richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu haben. Dies ist jedoch nicht das eigentliche Problem des Kundenservice. Das Problem liegt ja viel eher darin, dass wir aus Effizienzgründen schon vor Jahren aus Spezialisten Generalisten gemacht haben, sodass die eigentlichen Experten heute auch keine mehr sind.

    Netter Artikel, jedoch sehe ich darin keinen wirklichen Ansatzpunkt, um die wirklichen Probleme wirklich zu lösen.

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