
Warum sind Esoteriker so anfällig für Verschwörungs-Schwurbeleien, totalitäre Ideologien und Sündenbock-Denunziantentum? Der Hauptgrund liegt wohl in der Esoterik: Der Abtrennung von Ursache und Wirkung sowie die Sehnsucht nach einer Vereinfachung der Welt. Für alles muss es doch einen Grund geben. Warum gibt es Erdbeben oder Vulkanismus? Sind das alles Symptome des Niedergangs der Menschheit oder schlichtweg chaotisch verlaufende Phänomene, ohne die eine Entstehung der Erde gar nicht möglich gewesen wäre. Evangelikale Extremisten ballerten mir schon das Alte Testament an den Schädel, weil ich allzu beflissen meine Erkenntnisse aus dem Leistungskurs Biologie zum Besten gab. Wer Monokausalität in Frage stellt, wird von den Vereinfachern sofort mit Verdächtigungen überzogen. Es sind immer irgendwelche abstrakten Interessen der Allgemeinheit, des „Volkes“, einer Gruppe oder von Grüppchen, die unter dem Joch eines vernetzten und undurchsichtigen Syndikats leiden. Erinnert sei an die Kampfschriften von Mathilde Ludendorff, Ehefrau des prominenten Generals Erich Ludendorff. Sie rührt Freimaurer, Illuminaten, Juden und Jesuiten zu einem antideutschen Verschwörungsbrei zusammen und pfeift auf jegliche Sachkenntnis in historischen Fragen. Zu den diversen Geheimbünden gesellen sich in wildem Anachronismus auch noch Kommunisten, also die 1917 gegründete russische Staatssicherheit namens Tscheka. Nachzulesen bei Markus Wallenborn über Verschwörungstheorien zu Goethe und Schiller. Die absurden Thesen von Frau Ludendorff über die angebliche Ermordung Friedrich Schillers stießen auf so starken Anklang, dass sich die Weimarer Goethe-Gesellschaft genötigt sah, sämtliche Quellen zu Schillers Tod zwecks Gegendarstellung zu prüfen.
Bis heute sind die Texte der Generalsgattin in den sumpfigen Niederungen der völkischen und nationalistischen Publizistik verfügbar. Seit dem es Möglichkeiten der mechanischen Reproduzierbarkeit gibt, wimmelt es von Falschmeldungen, undurchsichtigen Verdächtigungen und Scheinwahrheiten. Die Geschwindigkeit und Exaktheit digitaler Reproduktions-Technologien wirkt dabei nur als Teilchenbeschleuniger eines alten Phänomens. Es geht um die Formierung von Gesinnungsgemeinschaften, in denen kein Platz ist für empirische Evidenz, für politische Regeln und checks and balances. Die Gläubigen einer neo-esoterischen Bewegung bewegen sich nahe am politischen Okkultismus des Dritten Reiches: Man distanziert sich von der strikt analytischen Perspektive, die für die „alte“ Wissenschaft kennzeichnend sei. Man operiert mit Verdächtigungen und Fundamentalkritik. Sachdebatten, Primärquellen, nachvollziehbare Daten, Fakten-Check oder gar ein Wettbewerb der politischen Ideen stören die Vereinfacher. Führerkult, die Sehnsucht nach der ultimativen sowie endgültigen Entscheidungsschlacht, der Ernstfall, die systemzerstörende Krise und die darauf folgende Erlösungsideologie werden von Crash-Propheten ersehnt, nicht das Bohren dicker Bretter, offene Debatten oder rechtsstaatliche Verfahren.
Meinen Großvater haben sie für diese „heilige“ Idee der Volksgemeinschaft im KZ verhungern lassen. Ohne medizinische Versorgung ist er vor dem Abtransport nach Auschwitz an den Folgen eines barbarischen Kerker-Regimes zu Grunde gegangen. Eine unheilige Allianz von barfüssigen Propheten und extremistischen Verführern demontierte die Weimarer Verfassung. Deshalb schufen die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein robustes System gegen Heilslehren jeglicher Coleur. Als Kind der Bundesrepublik verteidige ich diese freiheitlich-demokratische Grundordnung. Nicht fürs Vaterland, sondern für meinen Vater und für meinen Großvater.
Hat dies auf Snackpress01 rebloggt.
[…] Vom Nutzen des Grundgesetzes in Zeiten von Fake News und Heilslehren […]
Spurensuche im Rheinland – Leben und Sterben in Sayn (Koblenz) – Das Schicksal von Wilhelm Sohn
Wer keinen “deutschen” Namen hat, macht sich verdächtig, wenn er bei der Einwanderungs- und Flüchtlingsfrage nicht “deutsche” Positionen und das “deutsche Vaterland” verteidigt. Das riecht nach Interessenkonflikt. Wer nicht die richtige Abstammung hat, sollte sich doch mit seinen öffentlichen Äußerungen zurückhalten. Jedenfalls meinte das eine Kölner Juristin im Disput mit meiner verstorbenen Frau. Ein Patriot sei der, der sein Vaterland liebt. “Vaterland hingegen ist das Land, wo die eigenen Vorfahren herkommen. Also Bitte beteilige dich an einem Sinti- und/oder Roma-Diskurs. Danke”, schreibt Frau Schmidt auf Facebook (Kommentar wurde mittlerweile gelöscht), also waschechter germanischer Adel, der im Zuge der Völkerwanderung aus Zentralafrika irgendwann mal in nordische Regionen vorgedrungen ist. Es kommt halt immer auf die zeitliche Einordnung der Vorfahren an. Hier empfehle ich einen Blick in Wikipedia. Was sagt denn der Blut- und Boden-Lehrmeisterin der Name “Gunnar Sohn”? Klingt doch irgendwie ok, um von Frau Schmidt nicht aus dem “Diskurs” über Einwanderung und Flüchtlinge ausgeschlossen zu werden?
Erinnerungskultur im „Vaterland“
Wenn wir schon von Vorfahren sprechen, sollte dabei die Erinnerungskultur nicht fragmentarisch ausfallen. Die Erinnerungskultur muss an die nächste Generation weiter gegeben werden. Meine Großeltern Frieda und Wilhelm Sohn zogen 1932 nach Kuschkow/Spreewald und kauften dort eine Gast- und Landwirtschaft. Hier begann 1935 die Schulzeit meines Vaters. Da mein Opa Jude war, zwang man die Familie Sohn durch Boykottaktionen zum Verkauf des Geschäftes. 1936 zogen die Sohns nach Österreich und eröffneten auf dem Danielsberg in Kärnten eine Hotelpension – den Herkuleshof. Anfang des Jahres 1939 – also kurz nach dem “Anschluss” Österreichs – wurde das Hotel meiner Familie auf dem Wege der sogenannten Arisierung weggenommen und eine Kärntnerin als Eigentümerin eingesetzt. Mein Opa kam in das KZ Dachau – später dann in die “Heil- und Pflegeanstalt der Reichsvereinigung der Juden in Bendorf-Sayn” bei Koblenz.
Krankenmorde im „Vaterland“
Der Krankenmord an jüdischen Patienten war Teil der von Hitler befohlenen “Aktion T4”, einer Mordaktion, der von Januar 1940 bis August 1941 70.000 Insassen aus Heil- und Pflegeanstalten zum Opfer fielen. Sie wurde als geheime Reichssache von einer Bürozentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin (daher die Bezeichnung “T4”) aus organisiert. Die “T4”-Zentrale selektierte anhand von “Meldebogen” vor allem die nicht arbeitsfähigen Patienten und schickte sie mit Sammeltransporten über “Zwischenanstalten” in sechs der ihr unterstehenden Tötungsanstalten. Hier wurden die Menschen meist am Tag ihrer Ankunft in einer als Duschraum getarnten Gaskammer ermordet und ihre Leichen sofort in Verbrennungsöfen eingeäschert.
Ein „vaterländischer“ Erlaß
Noch während die “T4”-Sonderaktion lief, ordnete das Reichsinnenministerium mit einem “Runderlaß” am 12. Dezember 1940 an, dass jüdische Patienten künftig nicht mehr in die staatlichen Heil- und Pflegeanstalten aufzunehmen seien, sondern nur noch in die “Heil- und Pflegeanstalt der Reichsvereinigung der Juden in Bendorf-Sayn”. Begründet wurde die Anordnung wie beim “Erlaß” vom 30. August 1940, dass “Juden mit Deutschen” nicht mehr gemeinsam untergebracht sein sollten. Der “Erlaß” vom Dezember konnte jedoch aus organisatorischen Gründen nicht im geforderten Umfang umgesetzt werden. Obwohl die Bettenzahl in Bendorf-Sayn Anfang 1940 durch Aufstellung von Baracken von 190 auf 474 erhöht worden war, blieb die Anstalt überfüllt. Allein zwischen Januar und November 1941 waren 251 Neuaufnahmen zu verzeichnen. Die Deportationen der jüdischen Bürger nach dem Osten ab Frühjahr 1942 bedeuteten das Ende von Bendorf-Sayn. Die Anstalt wurde schrittweise geräumt.
Ohne Beruf, israelitisch und mit neuem Vornamen
Waggons mit den Patienten wurden an die Züge gekoppelt, mit denen die Koblenzer Juden im März, April, Juni und Juli 1942 deportiert wurden. Mit dem 10. November 1942 hörte die jüdische Anstalt auf zu bestehen.Mein Großvater starb unter ungeklärten Umständen kurz vor seiner Deportation nach Auschwitz am 23. Mai 1942. In der Sterbeurkunde nannte man meinen Opa übrigens Wilhelm Alfons Israel Sohn – “ohne Beruf, israelitisch”. Das war die perfide Praxis der Nazis. Ein zusätzlicher Vorname, der die Stigmatisierung schon im Ausweis kenntlich machte. Israel für Männer und Sara für Frauen. Und selbst seinen erlernten Beruf als Land- und Gastwirt hat man in der Sterbeurkunde unterschlagen.
Mein persönliches Vater- und Großvaterland
Mein Groß-Onkel konnte sich noch nach London absetzen und überlebte. Für meinen Opa reichte das Geld nicht mehr, um den Nazi-Schergen noch zu entkommen. 1939 wurden meine Oma und mein Vater aus der “Ostmark” in das “Altreich” ausgewiesen. Sie zogen nach Berlin. Mein Vater besuchte die 6. Volksschule in Berlin Mitte. Da er nach dem Rassegesetz ein Mischling I. Grades war (meine Oma war Protestantin), durfte er keine höhere Lehranstalt besuchen. Im November 1943 wurden Oma und Paps ausgebombt und zogen zu den Großeltern mütterlicherseits nach Eggersdorf. Hier wollte mein Vater eine Laufbahn als Maschinenbauer beginnen, durfte aber, da das Rassegesetz verbot, einen handwerklichen Beruf zu ergreifen, seine Lehrstelle in Müncheberg bei der Firma Paul Sellin nicht antreten.
Daraufhin wurde ihm eine Lehrstelle als Landwirtschaftslehrling beim Landwirt Kurt Ehlert in Grünberg/Neumark zugewiesen. Als im Januar 1945 dort die Russen einmarschierten, wurde mein Vater als Gefangener nach Landsberg gebracht, kam aber im Juli 1945 wieder zurück nach Berlin. Er arbeitete zunächst in einem Elektrowerk in Köpenick, bis er am 25. September 1945 einen Straßenbahn-Unfall erlitt. Die Folge davon war ein steifes Bein. Nach seiner Genesung und einem langen Aufenthalt in Schweden (daher meine “nordischen” Vornamen Gunnar Erik) bei Onkel Pelle (so nannte ich den Sohn der Gastfamilie) wurde mein Vater ab dem 22. April 1947 Fahrscheinausgeber bei der BVG. Hier gelang ihm später unter sehr großen Anstrengungen eine Karriere in der Verwaltung als Dienstzuteiler – bis zu seiner Pensionierung, die er nur ein knappes Jahr genießen konnte. Er starb nach einem Unfall im August 1990. Das ist mein “Vater- und Großvaterland”, werte Frau Schmidt.
Und ich sehe es als meine Aufgabe als Sohn und Enkel meines persönlichen “Vaterlandes” an, Blut- und Boden-Rhetorikern entgegenzutreten. Das Leben und Sterben in Sayn ist deshalb das Thema meiner Session-Idee für das Barcamp Bonn. Meine aktuellen Recherchen zum Schicksal von Wilhelm Sohn, des Dichters Jakob van Hoddis und vielen anderen Menschen der Nervenklinik in Sayn stehen dabei im Vordergrund. Mit Fotos, Akten, historischen Analysen und eigenen Erkenntnissen.