Plattform Industrie 4.0: Mit viel Tamtam gestartet und nun gescheitert – Deutschland versagt auch bei Industrievernetzung

Wie viel 4.0 steckt in der Industrie?
Wie viel 4.0 steckt in der Industrie?

Der ZVEI bestätigt, dass zur Hannover Messe 2015 eine „Umstrukturierung“ der Plattform Industrie 4.0 ins Haus steht. Unklar ist, ob dabei die vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bereits im Juli 2014 angekündigte ‚Dialogplattform Industrie 4.0‘ eine Rolle spielt, berichtet all-elektronics.de:

„2013 ging die Plattform Industrie 4.0, getragen von Bitkom, VDMA und ZVEI, mit viel Tamtam an den Start. Mit dem Auftreten des amerikanischen Pedants, dem Industrial Internet Consortium (IIC), wurden Stimmen laut, die der Plattform vorwarfen, nichts Konkretes auf die Beine zu stellen. Reinhard Clemens, CEO von T-Systems, erklärte auf der VDI-Tagung Industrie 4.0 Ende Januar: ‚Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir verloren.‘ Das ist durchaus als Selbstkritik zu verstehen, denn die Telekom – Mutterkonzern von T-Systems – gehört zum Vorstandskreis der Plattform. Außerdem gibt es Gerüchte, dass auch das BMWi mit der Arbeit der Plattform nicht zufrieden sei.“

Noch auf der Cebit im vergangenen Jahr proklamierten Vertreter der Bitkom, welchen großen Vorsprung Deutschland bei der Frage der vernetzten Industrie habe. Davon ist nicht viel übrig geblieben. So bekamen deutsche Industrievertreter auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos von Kanzlerin Angela Merkel eine semantische Kopfnuss für ihre Bräsigkeit bei der Etablierung von Industrie 4.0-Standards. Die USA und asiatische Länder seien bereits enteilt. Begleitet wird die Zaghaftigkeit der Industriekonzerne von Ressortstreitigkeiten im Merkel-Kabinett. Forschungsministerin Johanna Wanka leistet sich einen Wettstreit mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Ein schlagkräftiges Industrienetzwerk, das die Digitalisierung vorantreibt, bleibt auf der Strecke. Von der Unzulänglichkeit des notwendigen Breitbandausbaus ganz zu schweigen.

“Während bei uns wild an komplexen Netzwerkplänen für das Internet der Dinge gebastelt wird, nehmen die Amis den vernetzten Kunden als Ausgangspunkt für die Entwicklung von smarten Services. Und sie nehmen sich einen Markt nach dem anderen vor, anstatt alles mit allem vernetzen zu wollen. Der entscheidende Unterschied ist die Denke: Die einen sind geprägt durch ihre langjährige Erfahrung als Hardware-Hersteller, Nest dagegen greift wie ein Internetunternehmen Märkte an, in denen sich in den letzten 50 Jahren nichts fundamental geändert hat”, konstatiert Smarter Service-Blogger Bernhard Steimel.

Tony Fadell, ehemaliger Apple-Manager und „Vater des iPods“ gehe mit einem ganz anderen Mindset an die Sache als die von Ingenieurskunst getriebenen Hersteller. Google kauft halt Nest und Samsung baut einfach das Betriebssystem Android in die Elektronikprodukte ein – von der Waschmaschine bis zum Kaffee-Vollautomaten, wie der Ex-IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck süffisant bemerkt.

Industrie 4.0 sei vor allem eine dezentral-intelligente, vernetzte, kooperative Industrie, Technik ist dafür „nur“ der Enabler – wobei Enabler wie Android fundamental wirken können, stellt Winfried Felser von der Competence Site fest. Wir machen es in Deutschland eben schön kompliziert, statt komplex zu denken und einfache Lösungen auf dem Markt zu etablieren.

Das Rennen wird das in den USA initiierte Konsortium IIC mit dem alerten Richard Mark Soley an der Spitze machen. Soley sei ein Antreiber, Marktkenner und exzellenter Redner im Unterschied zu den Industrie 4.0-Bürokraten in deutschen Spitzenverbänden und Ministerien, erklärt ein Branchenkenner gegenüber ne-na.de. Wenn jetzt Bundesminister ihre eigene Suppe kochen, um die deutsche Förderung der 4.0-Initiative zu schützen, gehe das voll in die Hose. Das haben wohl Siemens und Bosch erkannt. Die Minister Wanka und Gabriel wohl noch nicht.

Siehe auch:

Industrie 4.0-Nekrolog – Kompetenzstreit zwischen Industrie und Politik schreit nach einem Kompetenzgespräch.

9 Kommentare

  1. Das sind aber harte Worte für Ingenieure.

    Vielleicht liegt ihre „Langsamkeit“ bei der Umsetzung von Internetstrategien darin, dass sie gerne noch selbst rechnen und das nicht Algorithmen überlassen, die sie selbst (noch) nicht verstehen.

    Ich empfehle dazu den Film „Banker – Master oft he Universe“. Er verdeutlicht, wie Banken ihre Rechenleistung zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.
    Internetkonzerne können allerdings inzwischen besser Rechnen als Finanzkonzerne.
    Was das bedeutet, können Sie sich gerne selbst ausrechnen.

    Ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Ich denke nur noch gerne selbst.

    Das Schwierige sind ohnehin nicht die Dinge im Leben, die sich berechnen lassen, sondern diejenigen die immer unberechenbar bleiben. (In der Finanzwelt spricht man vom „Schwarzen Schwan“)

    Damit umzugehen ist bisher die Domäne des Menschen.

    Sollte sich das einmal ändern, dann ist das sicher langfristig weder für den Menschen noch für die Maschinen/Computer gut.

    Ich denke es lohnt sich zwischendrin auch einmal inne zu halten und zu reflektieren.
    Denn schnell-schnell können andere bisher tatsächlich besser.
    Eine gewisse Portion Gründlichkeit hat noch nie geschadet – es sei denn, wir geben uns mit ein paar schillernden Blasen zufrieden.
    😉

  2. Beitrag zum Ingenierusstudium und den Open Courses finde ich auch sehr spannend. Industrie 4.0 definiert sich eigentlich auch über eine neue User Centricity, de facto wird das aber noch ein langer Weg. Der Mensch im Mittelpunkt von Industrie 4.0 das ist ein Beitrag den ich gerade für PSIPENTA finalisiere.

  3. Wir wollen den Industrie 4.0-Kompetenzstreit thematisieren und die Unfähigkeit der deutschen Ingenieure, marktfähige Lösungen zu entwickeln. Also genau das Thema Deines Artikels. Nächste Woche wäre gut. Schlage einfach einen Termin vor, Anja.

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